Gerade das Angebot 9 Wochen Barock und eine Reihe von hochwertigen Veranstaltungen, die sich in der Region abgespielt haben, haben gezeigt, dass das allgemeine Interesse an dieser einzigartigen Kulturepoche wächst. Zweifellos finden wir zahlreiche Analogien zwischen unserer Zeit und dem 17. und 18. Jahrhundert. Die eine davon ist der Bedarf einer Visualisierung des Glaubens oder der persönlichen Überzeugung mittels der bildenden Kunst und die zweite Analogie ist die Bedeutung der moralischen und spirituellen Werte für das Schicksal der Menschen und ihrer persönlichen Darstellung. Der sanfte und meist relativ feinfühlige aber dennoch anspruchsvolle Kampf um die menschliche Seele, der sich in den böhmischen Ländern im 17. und 18. Jahrhundert abspielte, war nur eine Parallele zu dem protestantischen Kampf, der zwar einen anderen Ausgangspunkt hatte, aber auf das selbe Ziel ausgerichtet war. Die katholische Reformation, oder geläufiger die Gegenreformation, trug aber im Gegensatz zur protestantischen Vision der Welt zur Entfaltung der medialen Funktionen von Bildender Kunst, Musik und Literatur bei, die programmatisch und zielbewusst in die Schaffung einer neuen Einheit der Welt eingebunden waren. Barocke Darbietungen wie Wallfahrten und Prozessionen, die Medialisierung der konfessionellen Verkündigungen und die Visualisierung des Glaubens waren gezielt auf die menschliche Seele ausgerichtet, die man für den einzigen Bereich hielt, der für die Wahrnehmung und Aufnahme einer breiten Palette von Sinneseindrücken geeignet ist, die tüchtig Werte und Motivationen zur programmgesteuerten Verhandlung formen. Das Bild /Image der barocken „medialen“ Szene der böhmischen Länder ist jedoch bewundernswert international, universell, global, zweifellos aufgrund der Ausdehnung des von den Habsburgern verwalteten Territoriums und seiner Verbindungen. Die Migration der Kulte und der religiösen Orden belebte und innovierte die ikonographische Komparserie der Heiligen und der Motive der umfangreichen Freskenzyklen.
Schauen wir daher in die Barockzeit auf Ihre Nachbarregion – den Pilsner Bereich. Bohuslav Balbin beschreibt in seiner topographischen Übersicht des böhmischen Königreichs den Pilsner Bezirk wie folgt: "Der Pilsner Bezirk, benannt nach der Stadt Pilsen, sticht unter den anderen Regionen durch einen besseren, erlauchten und edlen Adel hervor... Seine Grenze im Osten bilden die Bezirke Podbrdský und Prácheňský. Im Süden ist es Bayern, im Westen die Oberpfalz und der Bezirk Eger. Von Norden her schließen ihn die Bezirke Žatecký und Rakovnický ein. Die Pilsner Region war schon immer ein wichtiger Teil des Böhmischen Königreichs . Von den 14 Regionen, die es damals in Böhmen gab, war sie die drittgrößte. Die Regionalverwaltung ruhte auf dem Amt des Hejtmanns, weshalb unter den Hejtmännern bedeutende Vertreter des regionalen Adels zu finden sind. Auf der Agenda des Bezirksamtes standen neben der Steuer Militär-, Finanz-, Gewerbe-, Handels-, und Justizangelegenheiten, sowie politische und Polizeiangelegenheiten.
Sozio- geographische regionale Systeme waren gebildet aus einem Mosaik der Herrschaft, Höfe und Städte, die sich seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zu den josephini-schen Reformen stabilisiert haben. Den Kernbereich des Bezirks bildeten die drei Flüße Uhlava, Úslava und Radbuza mit der Stadt Pilsen, die nach Kutna Hora als „im ganzen Land berühmteste“ Stadt betrachtet wurde. Zusammen mit ihr gab es in der Region fünf Königs-städte, 51 Herrenhöfe, 117 Ritterhöfe und 8 geistliche Güter. Die Region Pilsen gehörte zu den weniger dicht besiedelten Regionen aufgrund der schwächeren Urbanisierung des Landes in den umfangreichen Grenzwäldern. Obwohl in der langen Friedenszeit, die bis 1740 dauerte, die Region Pilsen vom Krieg verschont blieb, betrafen die Kasernierung der Solda-ten sowie die Abgaben und Kosten für den Krieg mit dem Osmanischen Reich die dortige Bevölkerung ebenfalls. Gewöhnlich wird die Bevölkerung von Pilsen zur Mitte des 17. Jahrhunderts mit etwa 110 000 angegeben. Auf den Schlösser und Festungen lebten etwa 3000 Menschen, als Personal in den königlichen Städten aufgeführt etwa 6000 Menschen und auf den Dörfern rund 90 000 Menschen.
Plzen gehörte zur Erzdiözese Prag. Das geistige Leben der Region Pilsen regelten in der Barockzeit weitgehend Ordenseinrichtungen, die in der Zeit nach der Schlacht am Weißen Berg eine dynamische Entwicklung durchliefen. Klöster in der Region Pilsen waren wichtige administrative, wirtschaftliche und geistige Zentren mit großem Potenzial im Bereich der Investitionen in die bildende Kunst. In der Pilsner Region gehörten zu den ältesten Ordens-institutionen die sogenannten Kolonisationsklöster und die Mendikantenklöster, die seit dem Mittelalter in der Landschaft und in den Städten angesiedelt waren. Das am längsten bestehende Westböhmischen Kloster war das Benediktinerkloster in Kladruby (1115-1785), (das im vergangenen Jahr 900 Jahre seit seiner ersten Erwähnung feierte), zu dem in Přeštice und in der Stadt Touškov reiche Propsteien gehörten. Nach dessen Auflösung erhielten das ehemalige Klostervermögen die Schönborns (Přeštice 1812) und die Windischgrätzer (Kladruby 1825) erworben.Als eine Art Kloster Zwillinge, Prämonstratenser-Kloster für Männer und Frauen, können wir Teplá und Chotěšov betrachten. Das Frauenkloster wurde während der josephinischen Säkularisation im Jahre 1782 zerstört und das Gut im Jahre 1822 von Fürst Karl Alexander von Thurn und Taxis gekauft. Das Kloster Teplá, dessen Dominium sich im nordwestlichen Teil der damaligen Pilsner Region erstreckte, konnte in der Barockzeit seine angesehene Stellung durchsetzen , in welcher die lange Tradition, sich auf den Stifter zu berufen, eine bedeutende Rolle spielte. Der Abt Herman Christopher Trauttmansdorf (1767-1789), Propagandist der Bildungsreformen und einer freieren Lebensweise, trug zur Rettung des Klosters vor den josephinischen Reformen bei, indem er an das Leben der höheren Aristokratie erinnerte. Zu den großen Männerklostern der Region Pilsen gehörte auch das Zisterzienserkloster in Plasy (1145-1785), welches das Gebiet nördlich von Pilsen regierte. Dank seines guten Wirtschaftens konnte sich das Kloster in erster Linie der Errichtung eines neuen Konvents widmen, dem Ausbau der Kirchen und dem Aufbau neuer Wirtschaftshöfe. Viele der aufgeführten Vertreter des klösterlichen Lebens finden wir in den Porträt-Galerien, die seit dem frühen 17. Jahrhundert entstanden sind. Die städtischen Ordensgesellschaften in der Pilsner Region stellen in der Barockzeit Klöster dar, die im Mittelalter gegründet wurden und Häuser von Ordensgemeinschaften, die in der Zeit nach der Schlacht am Weißen Berg in die Region kamen. In Pilsen waren seit dem Mittelalter Dominikaner und Franziskaner angesiedelt. Die Orden erhielten sich über Jahrhunderten hinweg ihre charitative Bedeutung und ihre Bedeutung im Predigen. Die Franziskaner hatten Einfluss auf die Bildung von religiösen Bruderschaften, verwalteten die heiligen Stätten und verbreiten den Kult des Heiligen Grabes und des Kreuzwegs. Von den weiteren Orden waren in der Pilsner Region die Augustiner, Karmeliten, Kapuziner und Jesuiten angesiedelt, deren Zentrum in der Region die Stadt Klatovy war. Die Paulaner fanden ihren Zufluchtsort in Světce bei Tachov, das Kloster des Servitenordens der Jungfrau Maria in Rabštejn nad Střelou (dt. Rabenstein an der Schnella). Das einzige neue Frauenkloster in der Region ist das relativ spät gegründete Dominikanerkloster in Pilsen. Die charitativ orientierten Predigerklöster, angewiesen auf ihre Gründer und Förderer, erlebten ihren Aufstieg bereits während des Dreißigjährigen Krieges und ihre Blütezeit in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als man ihre Rolle im Prozess der katholischen Reformation der städtischen und ländlichen Bevölkerung erwartete. Oft pflegten sie die Wallfahrtsorte und ihre Aktivität unterstützte das Aufblühen einer Volksfrömmigkeit.Loreto in der Pilsner Region wurde aus den Reihen der Adeligen begründet, die sich oft persönlich in das italienische Loreto auf fromme Wallfahrt begaben und die Replik der Loreto-Kapelle, die sie auf ihrem Anwesen nach italienischem Vorbild errichtet hatten, gewöhnlich einem Orden mit strenger Obser-vanz und einem ausgeprägten Marienkult anvertrauten. Eine der dauerhaften Erinnerungen der Pilsner Region in der Verzierung der Prager Brücke ist eine Statue des Johannes von Ne-pomuk, die von Baron Matej Bohumír Vunšvic aus Ronsperg bei Jan Brokof in Auftrag gege-ben wurde. Sie wurde noch vor seiner Heiligsprechung zum Prototypen für alle weiteren Nepomukstatuen. Schon aus dieser kurzen Übersicht ist erkennbar, dass die Region Pilsen in der Barockzeit zur sogenannten Terra Sancta gehörte, also dem heiligen Land, wie das barocke Böhmen gerne genannt wurde.
Das erste Drittel des 17. Jahrhunderts zeichnet sich durch weitreichende soziale Transformationen aus, sowie durch die Konfiskationen in der Zeit nach der Schlacht am Weißen Berg, durch Strafen und Aufbrüche ins Exil. Zugleich war es aber auch eine Zeit der Gelegenheiten, sowohl für die neu ankommenden Familien, als auch für die Vertreter des immer treu katholischen Adels. Der regionale Adel war durchgängig katholisch und transformierte sich für die Treue zum Habsburger Haus oft in höfische Aristokratie (die Familie Haus Czernin von und zu Chudenitz) oder bekam wichtige Positionen in der Provinzverwaltung, fand in der Reichsdiplomatie und dem Heer Verwendung oder besetzte wichtige religiöse Posten.
Die Verankerung des Adels in der Region beweisen die ansehnlichen Residenzen in der Region, die im frühen 18. Jahrhundert entstanden sind, zu einer Zeit, als bereits die Urbanisierung der böhmischen Aristokratie einsetzt, die die Landsitze als Herrschaftssitze und Zweitwohnsitze neben den Palästen in Prag und Wien baut. Die Welt der Aristokratie in der Region Pilsen in der Barockzeit stellt die herrschaftliche Lage dar mit zwei Dutzend der bedeutenderen Familien an der Spitze, die oft verwandschaftlich, über Eigentumsverhält-nisse oder gesellschaftlich miteinander verbunden waren. Die reiche Aristokratie besaß nicht nur in der Pilsner Region Höfe, aber ihr Dominium reichte oftmals über die Grenzen des böhmischen Königreichs hinaus, in welchem sie nur den kleineren Teil ihrer Besitztümer hatte. Die ausländische Nobilität bayerischen, italienischen oder spanischen Ursprungs, die in die neue Heimat kam, wo sie gemeinsam eine kosmopolitische Gesellschaft bildete, stellte die sogenannte Militäraristokratie dar, die sich durch konfiszierten Besitz bereichert hatte, den sie als Teilrückzahlung der kaiserlichen Schulden für von ihr geleistete Militärausgaben aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges erhalten hatte. Der Reichsadel kaufte die Herr-schaftsgüter in Böhmen in der Regel aus spekulativen Gründen auf und einige Familien gründeten hier ihre Nebenzweige, die ihre Bindung zu den böhmischen Ländern durch Hochzeiten mit Angehörigen der alten Landesgeschlechter festigten. Die Aristokratie der böhmischen Länder verwandelte sich in eine kosmopolitische Nobilität der Habsburger Monarchie und die Karriere verwischte alle Unterschiede zwischen der böhmischen und der europäischen Aristokratie. Deshalb betrachteten die Eliten des Landes durchgängig den Verlust der ständischen Privilegien nicht als Katastrophe, da ihnen der Habsburger Hof eine weitaus bedeutendere Position auf europäischer Ebene bot. Um diese zu erreichen, unternahmen sie Kavalierstouren, gönnten sich Bildung und investierten mitunter auch in ihre Positionen. Neben diesen "sozialen Investitionen" gab es wichtige Einlagen kulturellen Charakters, darunter bildende Kunst, Literatur, Musik, Theater und Wissenschaften, die die Plattform eines groß angelegten Repräsentationsprogramms waren. Ein Beispiel für die Errichtung eines ländlichen Hofstaats und das goldene Zeitalter der aristokratischen Wohnarchitektur, kann das Schloß Manětín sein, in welchem sich die Ambitionen des Geschlechts Lažanský widerspiegeln. Die Feier der Karriere des eigenen Geschlechts gehörte zu den beliebten Themen des Freskenschmucks der Schlösser, der vor allem militärische Erfolge auf den Kriegsschauplätzen im Kampf mit dem Osmanischen Reich aufnahm.
Der herrschaftliche Stand regierte mehr als die Hälfte des Pilsner Bezirks. Ein Bild der Adelsdominien belegt, dass in der Pilsner Region in dieser Zeit die Grundlage für große Besitzeinheiten gelegt wurde, die bis ins Jahr 1848 erhalten blieben. Zu den reichsten Adeligen (nicht nur der Pilsner Region) gehörte das Haus Czernin von und zu Chudenitz, ein altes böhmisches Geschlecht, ursprünglich mit Sitz in Chudenice im Bezirk Klattau, sowie die Grafen von Kolowrat, die Herren von Kokořov aus Kokořov die Adelsfamilie Lažanský von Buggau und das Adelsgeschlecht Martinic, in der Region Klattau fasste im 18. Jahrhundert das Geschlecht der Palmer Fuß, das aus Schwaben kam. Die Lamminger von Albernreut sind ein Adelsgeschlcht aus Bayern, das sich im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts in Westböh-men ansiedelte. Die Freiherren von Wunschwitz kamen im frühen 17. Jahrhundert aus der Niederlausitz nach Böhmen.
Starke Konkurrenz für heimischen Adel war die neue Aristokratie, die für ihre Verdienste im bewaffneten Konflikt Güter aus dem konfiszierten Besitz in den böhmischen Ländern erhielt.
Eine militärische oder diplomatische Laufbahn ihrer Angehörigen in des Kaisers Diensten brachte ihnen bereits während des Dreißigjährigen Krieges die Möglichkeit, Eigentum zu erwerben. Zu ihnen gehörten die Trauttmansdorfer, die Lowensteiner (Löwenstein -Wertheim -Rosenberg ), und eine Reihe weiterer, die - wenn auch nur in einer Generation - als kulturelle Mäzene berühmt wurden. Nur ein flüchtiger Überblick über die Besitzer des Anwesens in der Pilsner Region zeigt die Bedeutung des Adels, der neben der Kirche der wichtigste Förderer der Künste war, die als Mittel zur familiären und persönlichen Reprä-sentation galten. In der Pilsener Region zählten zum Bestand der königlichen Städte Pilsen, Rokycany, Klatovy, Domažlice, Rokycany und Stříbro, in der Region Prácheňsky die Königs-stadt Sušice und auch die königlichen Oberstädte Kašperské Hory und Rejštejn. Die Königsstädte waren Feudalherrschaften und besaßen in ihrer Umgebung zahlreiche Dörfer.
Die königliche Bezirksstadt Pilsen war eine treue katholische Stadt. In der Pilsener Region befanden sich insgesamt acht große kirchliche Herrschaften und Dutzende weltlicher Herrschaften und Höfe, in denen die Auftraggeber der einzelnen barocken Kunstwerke verankert waren. Die Beurteilung der Barockzeit als für die Westböhmische Kultur außer-ordentlich bedeutende Zeit, ist relativ jungen Datums. Bei der Entdeckung ihrer Qualitäten spielten gerade die bildende Kunst und die Architektur, die die Dominanten der hiesigen Landschaft entstehen ließ, eine bedeutende Rolle. Der komplexe Prozess von Entstehung und Aufstieg der Barockkultur in den böhmischen Ländern erweist sich als eine der interes-santesten Perioden der mitteleuropäischen Geschichte und gerade die Eliten der Region Pilsen trugen dazu einen nicht unerheblichen Teil bei.
PhDr. Irena Bukačová